ABC der gelungenen Volksfeste

präsentiert vom Deutschen Schaustellerbund e.V.
in Kooperation mit dem Deutschen Städtetag und dem Deutschen Städte- und Gemeindebund




Über den Autor

Prof. Dr. Uwe Meiners, Leitender Museumsdirektor im Museumsdorf Cloppenburg

Volksfeste: Gemeinsames kulturelles Erbe

Volksfeste haben in Europa eine lange Tradition. Hervorgegangen aus lokalen Märkten und Kirchweihen, bilden sie Höhepunkte im Jahreslauf dörflicher und städtischer Gemeinschaften – mit oftmals überregionaler Strahlkraft.

Man braucht dazu nicht gleich das legendäre Münchner Oktoberfest ins Feld zu führen, um deutlich zu machen, welchen Stellenwert diese jährlich wiederkehrenden Feste in der Bevölkerung haben. Cranger Kirmes, Regensburger Dult, Vechtaer Stoppelmarkt – ihre und viele andere Namen stehen für praktiziertes Volksfestleben mit öffentlichkeitsorientierter, sozialintegrativer und identitätsstiftender Funktion.

Anschauliche Beispiele für die Traditionsstränge von Kirmes, Jahrmarkt und Schützenfest liefern uns bereits Gemälde und Grafiken niederländisch-flämischer Maler vor rund fünfhundert Jahren. Aus ihren Bildern geht hervor, dass öffentliche, jährlich wiederkehrende Feste Menschen zu gemeinsamen Handlungen und Interaktionen bewegten. Sie waren Anlass für ausgelassenes Feiern und Kommunizieren, führten Personen unterschiedlichen Alters und verschiedener Herkunft zusammen, boten Möglichkeiten des kurzfristigen Kennenlernens und langfristigen Zusammenlebens. 

Volksfeste haben verheerende Kriege und demografische Umwälzungen überstanden, sie sind vielfach ein stabilisierendes Element gewesen, wenn es galt, Krisen zu bewältigen und zu überwinden. Auch wenn beispielsweise der Vechtaer Stoppelmarkt im August 1914 wegen des Ausbruchs des Ersten Weltkriegs sofort von der lokalen Veranstaltungsliste gestrichen wurde, gehörte er mit seiner Wiederaufnahme 1919 zu denjenigen Maßnahmen, die zur raschen Stabilisierung des Alltagslebens beitrugen. Ähnlich verhielt es sich in Deutschland nach dem Desaster des Zweiten Weltkriegs, als ab 1946 die Reintegration der Volksfeste einen ersten Schritt zur Normalisierung darstellte.

Volksfeste bilden damals wie heute unverzichtbare Stationen im kollektiven Erleben eines räumlich verorteten Jahreszyklusses. Ausgerichtet an den aktuellen Wertmaßstäben einer erlebnisoffenen Gesellschaft gehören sie ferner zu den herausragenden Elementen einer öffentlichkeitsorientierten Vorzeigekultur. Sie sind eingebunden in einen zivilisatorischen Prozess, der in seiner technischen und sozialen Dynamik zu fortlaufenden Veränderungen kultureller Erscheinungen führt. Für Konstanz in diesem Prozess sorgen die eigentlichen Handlungsträger der Volksfeste, nämlich die ihre Waren, Attraktionen und Künste präsentierenden Schausteller (als mobile und zugleich innovative Akteure); dann die diese Angebote konsumierende Bevölkerung (als eher stationärer und konservativer Akteur) und drittens die Struktur verleihenden Ausrichter der Feste wie Kommunen und Vereine (als konstitutive und Verantwortung tragende Akteure). Diese Balance zwischen Innovation, Tradition und Konstitution der Volksfeste ist mit Blick auf ihre jeweiligen Träger eine elementare Voraussetzung für deren nachhaltige Verankerung im Leben der Bevölkerung.

Volksfeste sind in ihrem Erscheinungsbild gleichermaßen immateriell wie materiell angelegt. Ihre kulturellen Äußerungen sind nicht voneinander zu trennen. Das Erleben eines Volksfestes, seine zur Schau gestellten Darbietungen sind an kulturelle Praktiken gebunden, die von Menschen erworben, eingeübt und tradiert werden. Essen, Trinken und Tanzen sind beispielsweise wichtige Bestandteile dieser auf Volksfesten ausgeübten Handlungen. In ihren ritualisierten Formen gehören sie genauso zum Erscheinungsbild der Volksfeste wie ihre materialisierten Ausdrucksformen wie Karussells, Losbuden, Wurf- und Belustigungsgeschäfte und viele andere mehr. Zusammengenommen bilden sie ein wichtiges Element in unserer tradierten und sich beständig weiter entwickelnden Kultur.

Darüber hinaus besitzen Volksfeste vor allem eine soziale Funktion. Sie sind Begegnungsorte für Menschen verschiedenen Alters, unterschiedlicher Herkunft und sozialer Provenienz. Dieser verschmelzende „melting-pot“-Charakter der Volksfeste ist neben ihrer kulturellen Dimension eine ihrer großen Stärken. Auch wenn sich das Ausleben von freier Zeit auf einem Volksfest eher individuell, in der Familie oder in Gruppen vollzieht, sind Volksfeste ein Stück weit „Entgrenzer“ von sozialen und kulturellen Milieus. Aufgrund ihrer Attraktivität fallen ihnen gemeinschaftsfördernde Funktionen zu, die identitätsstiftende Wirkungen zwischen unterschiedlichen Bevölkerungsgruppen zeigen. Volksfeste verlaufen trotz ihrer stimulierenden Wirkung in aller Regel konfliktfrei, sie haben deshalb eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe im kollektiv vollzogenen Ausleben von Freizeit und Vergnügen.

Volksfeste sind unser gemeinsames kulturelles Erbe. Dabei sind sie jung und aktiv geblieben. Gute Voraussetzungen für eine erfolgreiche Zukunft!

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